Mit dem Jahr »1968« verbindet sich in vielerlei Hinsicht ein gesellschaftlicher Wandel, den viele konservative Kräfte heute nur allzu gerne wieder rückgängig machen würden. Längst sind Begriffe wie »Studentenrevolte«, »Außerparlamentarische Opposition«, »Zweite Welle des Feminismus«, »Rausch« oder »Radikalisierung« zu Kampfbegriffen geronnen, die heute den Mythos von »Achtundsechzig« konstituieren, nicht selten den konkreten Blick auf die sozialen Errungenschaften, aber auch der gescheiterten Forderungen dieser Zeit verstellen.
In seiner Stückentwicklung interessiert sich der Autor und Regisseur Peer Ripberger nun vor allem für die Frage, was wir über unsere Gegenwart erfahren können, wenn wir uns mit historischen Gegebenheiten auseinandersetzen. Welche Themen beschäftigen uns heute noch? Welche Motive lassen sich weiter denken, welche müssen erst wiederentdeckt werden? Konkret bezogen auf die 68er-Bewegung bedeutet das: Zu fragen, welche Kritik heute noch greift, an welchen Stellen die hehren Ziele der Linken Ende der 60er Jahre erreicht werden konnten und an welchen der Kampf auch gescheitert ist. Und natürlich, gerade mit Blick auf die 60er: Welche Zukunftsvisionen gab es, welche sind aus der Bewegung heraus entstanden und welche können uns heute evtl. immer noch faszinieren und begeistern? Dabei geht es nicht darum, die Chronologie des Jahres 1968 nachzuerzählen, sondern durch den Zugriff auf Originaltexte aus der Zeit – Reden, Flugblätter und Zeitungsartikel – eine Collage zu erstellen, die eine Verschiebung weg vom rein historisierenden Betrachten hin zu einer Auseinandersetzung mit der Gegenwart ermöglicht. Es geht also nicht um ein romantisierendes Verklären der Vergangenheit, ein »Früher war alles besser«, in das man so leicht verfällt, wenn man sich mit der Ikonographie bestimmter geschichtlicher Momente beschäftigt. Stattdessen wagt es Peer Ripberger aus dem Geist und den Forderungen der 60er Jahre eine fiktionale Zukunftsvision abzuleiten, in der das Individuum von allen sozialen, materiellen und biologischen Zwängen befreit ist.
Theater Augsburg Premiere: 10.3.2018 Text und Inszenierung: Peer Ripberger
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„Tagtraum der Freiheit“: |
„Vom Mut eine Utopie zu formulieren“: |
„Das der Mut zur Utopie heute, in Zeiten behaupteter Alternativlosigkeit, nostalgischer Vergangenheitsbeschwörung und zukunftspessimistischer Krisendiskurse, höchst politisch ist, wählt Ripberger als schlüssigen Ausgangspunkt seiner Inszenierung und wagt sich ganz in diesem Sinne weit hinein in das Reich der Phantasie.“ |
„Im ersten Teil auf nackter Bühne reden sich drei Schauspieler und drei Schauspielerinnen (davon eine, Annika Ullmann, die stumm als Souffleuse mit einem Stapel Papier am WG-Tisch dabeisitzt!) im Tempo von Schnellfeuer-Gewehren die Köpfe heiß, geben auch schon mal chorisch – und in bester Brecht‘scher Verfremdung – zu bedenken, dass dieses Gerede auf einer Theaterbühne eigentlich überhaupt nicht politisch und sowieso für die Katz‘ sei, die besten zehn Minuten der Veranstaltung aber die waren, als das Publikum seine Plätze suchte und so zeigte, wie Gesellschaft funktioniert.“ |
„Peer Ripberger macht das sehr geschickt: Aus traditionellem Theater wird Agitationstheater und schlussendlich eine Bühneninstallation. Seine Stückentwicklung springt von der Vergangenheit in die Gegenwart und schließlich in die Zukunft.“ |
„Stark wird der Abend, wenn die Schauspieler in der Pause weiterspielen, sie das Publikum auf die Straße holen, dort mit dem Megafon im Stil von Martin Luther Kings „Ich habe einen Traum“ Reden halten. Sehen, mitmachen und darüber sprechen gehen in der Pause nahtlos ineinander über.“ |
„Die Zuschauer streifen durch die Versatzstücke des Antifaschismus, des Antikapitalismus, der revolutionären Begeisterung, und dem, was dahinter steht: Nicht so werden zu wollen wie die Elterngeneration, anders zu leben, noch mehr: anders zu denken, zu fühlen, zu lieben. Dazwischen thematisiert sich das Stück immer wieder selbst.“ |
„1968: Geschichte kann man schon machen, aber so wie jetzt ist’s scheiße, ist alles, aber sicher nicht langweilig. Und wer auch nach dem Theaterbesuch noch ein bisschen grübeln will und wem es gefällt, wenn all seine Sinne in Anspruch genommen werden, der sollte in eine der folgende Aufführungen gehen“ |
„Es gibt noch genügend Leute, die sich an 1968 gut erinnern. Die damals dabei waren. Die sich sofort einfinden konnten in die Atmosphäre auf der Brechtbühne: eine Gruppe schwarz gekleideter (etwas zu gestylt für 68er!) junger Leute, pausenlos rauchend am Diskutieren, noch bevor das Stück anfängt.“ |
„Erstaunlich ist, wie aktuell die Probleme noch immer sind. Es geht um Konsumzwang und falsche Bedürfnisse. Die weltweite Ausbeutung wird angesprochen. Gefordert werden die Veränderung von Schule und Uni sowie ein wirksamer Kampf gegen alte und neue Nazis. Ein Problem sind die Abfallberge.“ |